DEA Vogelweh Kleeblatt

Warum sieht ein Gebäude aus wie ein kubisches Zebra?

Im Frühjahr 2008 fingen die Technischen Werken Kaiserslautern an mit der Neuordnung des Verteilernetzes um die US-Liegenschaften in Vogelweh an der Trinkwasserversorgung der Stadt Kaiserslautern anzubinden. Einer von zwei Knotenpunkten sollte genau am Stadteingang West, am Vogelweh Kleeblatt, sein. Der Raumbedarf wurde von technischen Vorgaben bestimmt. Dies führte zu einem beachtlichen Volumen, fast zu groß für den beschränkten Raum auf dem Kleeblatt.

Die Stadt Kaiserslautern und die TWK waren sich bewusst, dass dieses Projekt an dieser exponierten Stelle, dem Kaiserslauterer Kleeblatt mit seiner weltweit bekannten US-Siedlung Vogelweh, große Aufmerksamkeit zu Teil wird. Es war also ein großes Anliegen, das Gebäude kleiner als das tatsächlich notwendige Volumen erscheinen zu lassen. Weiterhin sollte es, wenn schon so exponiert, seiner Lage gestalterisch gerecht werden. Auch sollten sich die Kosten zur Umsetzung in einem angemessenen Rahmen bewegen. Diese teilweise gegensätzlichen Anforderungen bestimmten die Architektur.

Die Idee für das Projekt entwickelte sich aus der Lage des Gebäudes selbst: am Vogelweh-Kleeblatt, einem vierarmigen Kreuz ohne links-Abbiegemöglichkeit. Das Gebäude würde hauptsächlich vom Auto aus gesehen werden, aus der Bewegung heraus. Die Lage des Gebäudes bot aber noch mehr als das, was man auf den ersten Blick erwartete. Benachbart zum Projekt liegt die amerikanische Basis „Vogelweh“ und auf der anderen Seite des Kleeblattes befinden sich die „Opel“-Werke. Die amerikanische Armee und Luftwaffe haben seit 1945 ihren Standort in Kaiserslautern, die „Opel“-Werke seit 1966. Beide bieten den Bürgern der Stadt Kaiserslautern eine große Zahl Arbeitsplätze, so prägen also zwei für die Stadt Kaiserslautern enorm wichtige Einflüsse den Standort.

Der zentrale Gedanken war es eine Stadtskulptur zu entwerfen, um dem Stadteingang von Kaiserslautern eine Art Auftaktgebäude zu geben. Als Skulptur besitzt das Gebäude die Fähigkeit seine Größe herunter-zuspielen und von seinem Zweck abzulenken. Wenn man versucht die Größe und auch die Form von einem Gebäude kleiner erscheinen zu lassen, sollte man sich mit der Tarnung vertraut machen. 

1909 veröffentlichte der prominente amerikanische Künstler und Naturalist Abbott Handerson Thayer, zusammen mit seinem Sohn, ein Buch “Concealing Coloration in the Animal Kingdom“. Es war die erste wissenschaftliche Beschreibung von Tarnung in der Natur und war gleich ein Bestseller. Seitdem teilen Militär, aus selbstverständlichen Gründen, und Künstler ein leidenschaftliches Interesse für Tarnung, und lernen seitdem von der Natur und von einander. Anfangend mit den frühen Futuristen über die Rationalisten bis in unsere gegenwärtige Zeit haben Architekten und Künstler Tarnung und die dazu angewandten Muster immer wieder verwendet.

Eine spezielle Art von Bewegungstarnung bekam immer besondere Aufmerksamkeit. Dies geht zurück auf den 1. Weltkrieg, eine Zeit vor der Erfindung des Radars. Die extremsten Formen dieser Camouflage-Art wurden auf offener See angewandt, wo es unmöglich ist, sich zu verstecken (für Schiffe, natürlich nicht für U-Boote). Man beabsichtigte mit dieser Technik die Lage von Schiffen nicht einschätzbar zu machen. Diese Bewegungstarnung sollte die Silhouette und Form der Schiffe durch hohe Kontraste der Farben und Muster auflösen, damit den Vektoren, die Geschwindigkeit und die Richtung der Schiffe unsichtbar wurden und man nicht mehr zielen konnte. Kurz gesagt, diese Tarnung war für sich bewegende Objekte entwickelt und ist heutzutage als Dazzle-Paint bekannt.


Sogar die Autoindustrie hat sich diese Technik angeeignet. Sie wird eingesetzt, wenn die Straßentauglichkeit von neuen Automodellen getestet wird. Tatsächlich fertigt Opel teilweise seine Testwagen in Kaiserslautern. Um das neueste Design eines Modells vor Designraub zu bewahren, werden die Testwagen sehr sorgfältig getarnt. Um dieses Phänomen wurde in Deutschland eine ganze Kultur von Automagazine entwickelt. Jedes dieser Magazine versucht immer das erste zu sein, das die aktuellsten Fotos der neuen Modelle zeigt. Die getarnten Prototypen nennt man Erlkönige. 

Der seltsame Name hat einen interessanten Hintergrund. Ursprünglich war der Erlkönig eine mythische Figur einer alten nordischen Fabel, über welche Goethe ein unheimliches Gedicht komponierte. Dieses Gedicht erzählt uns, dass der Erlkönig Neugeborene und Kinder stiehlt. Heutzutage hat das Wort Erlkönig im übertragenen Sinne die Bedeutung bekommen etwas Kostbares zu sein, was vor stehlenden Augen und Dieben geschützt, und aus diesem Grund auch versteckt werden muss. Erlkönige täuschen durch Streifen mit hohen Kontrasten und durch Muster erzeugte Formen vom eigentlichen Design ab. Auf einem statischen Objekt, was primär von bewegenden Betrachtern gesehen wird, scheint es angemessen, solch ein Muster anzuwenden. Damit provoziert dieses Gebäude ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, was im öffentlichen Raum eine zusätzliche Form von Sicherheit bedeutet.

Immer wieder haben ambitionierte Städte auf der ganzen Welt Architektur und Kunst als Instrumente des Marketings und Brandings eingesetzt, manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreich. Die Schaffung von Identität und Bedeutung durch Architektur ist durchaus schwierig und gelingt selten. Wenn ein Projekt nicht Teil der lokalen Kultur, d.h. ein Teil des Alltags wird, dann führt auch das intensivste Marketing und Branding nicht zum Erfolg. Man könnte jetzt denken, es sei wohl die beste Strategie, nicht zu laut zu verkünden, dass etwas Kunst oder Architektur sei. 

Der französische Künstler Jean Dubuffet sagte einmal (frei übersetzt): “Kunst schläft nicht in dem für sie gemachten Betten. Sie möchte lieber verschwinden als vorgeführt zu werden: was sie vorzieht, ist inkognito zu sein, ihre besten Augenblicke ergeben sich dann, wenn sie sich als Kunst nicht mehr erkennt.“ Pikanterweise schuf gerade dieser Künstler ziemlich faszinierende, spielerisch schwarz weiße Figuren, manchmal in der Größe dieses Gebäudes, manchmal sogar größer, aber immer visuell sehr präsent. 

Um, im diesen Sinne, Neues zu schaffen, braucht man nicht unbedingt teure Bautechniken oder exklusive Materialien: mit einem herkömmlichen Industrieprodukt, guten Handwerkern und ein bisschen Kreativität ist es auch möglich ein Gebäude zu entwerfen, dass hoffentlich Spaß, Vitalität, aber vielleicht auch etwas von seinem Kontext und Standort kommuniziert. 

Tatsächlich dreht sich eine der großen Kulturdebatten (was natürlich auch die Architektur miteinschließt) um den Begriff Authentizität. Das ist nicht all zu sehr verwunderlich: Nach dem 2. Weltkrieg mussten in Deutschland ungefähr 50 Prozent aller Gebäude wieder aufgebaut werden, in größeren Städten lag diese Zahl noch bei weitem höher. In den ersten Jahren der Nachkriegszeit wurde sehr schnell eine unglaublich große Zahl neuer Gebäude errichtet, die meisten von ihnen sehr preiswert und zweckmäßig in einem sich wiederholenden modernistischen Stil (selbstverständlich gibt es schöne Ausnahmen).

Geblieben jedoch ist eine Aversion, die sich gegen alles entwickelte, was modern oder anders aussieht. Es ist also zu erwarten, dass dieses Projekt Fürsprecher und Gegenstimmen haben wird. Damit könnte es dann sehr selbstverständlich seinen Platz und seine Akzeptanz bei den Menschen, die in Kaiserslautern leben und darüberhinaus finden, und hoffentlich,wenn man es sieht, einen an Kaiserslautern erinnern.