TXT Baukultur

Baukultur ist ein deutsches Wort, seine Verbreitung ist auf den deutschen Sprachraum, das heißt Deutschland, Österreich und einen Teil der Schweiz, beschränkt. In den französischen, englischen sowie in den holländisch/ flämischen Sprachgebieten findet es wortverwandt keine Verwendung. Baukultur beschäftigt sich vor allem mit Bauen. In der Verknüpfung mit dem Begriff Kultur wird das Bauen selbstverständlich aufgewertet. Der Fokus liegt auf Bauen, dem ergebnisorientierten, pragmatischen Schaffen, und führt zu einzelnen guten Bauten. Die gesellschafts- konditionierende Wirkung der Architektur bleibt größtenteils unkommentiert. Diese Auffassung der Baukultur verführt Planer dazu, das Feld der sozialen und politischen Auswirkungen ihres Handelns anderen Experten, zum Beispiel Soziologen oder Ökonomen, zu überlassen. Das bedeutet jedoch, den historischen, integrativen Kern der architektonischen Disziplin aufzugeben.

Die Planung unserer Umwelt ist einer der wenigen Kulturbereiche, in dem man, als Person oder Gruppe, tatsächlich in die Gesellschaft eingreifen kann. In dieser Hinsicht ist der Unterschied zwischen dem Bauen beziehungsweise der Architektur und den Künsten wichtig: Das Planen und Bauen sind gesellschafts- gestaltende Tätigkeiten mit einem großen Potenzial zur Verhaltensänderung; die Künste reflektieren die Gesellschaft, können jedoch nur indirekt Einfluss nehmen und neue gesellschaftliche Entwicklungen antreiben. Die Planungsprofessionen werden aufgrund dieser Fähigkeiten von außen – oft zu Recht – mit einer gesunden Portion Misstrauen betrachtet. Vielleicht ist gerade aus diesem Grund der Begriff Baukultur zurzeit populär. Wenn man Planungsaufgaben „baukulturell“ angeht, setzt man auf graduelle Entwicklung und fordert Bewahren und Erhalten. Im Selektionsprozess setzen sich bekannte, kulturell bewährte Lösungen eher durch. Baukultur birgt eine konservative, von Kontinuität mit der Vergangenheit geprägte Veranlagung in sich und mildert damit das Änderungspotenzial der Architektur.

Aber was bedeutet das für die Zeit, in der wir leben, die geprägt ist von Umbruch, Schock, schlagartigen Änderungen? Was können wir tun, um neue Akzente zu setzen, um der Dynamik der Gegenwart gerecht zu werden, um das Änderungspotenzial der Architektur wieder anzuzapfen? Auf der Hand liegt eine Umformulierung. Anstelle über den Begriff Baukultur sollten wir über Planungskultur reden und schreiben. Die Betonung des Bauens selbst wird zurückgenommen. Das Gebaute ist (nur) der erstarrte Moment eines sich im Fluss befindenden Prozesses.

Eine sprachliche Korrektur ist wichtig, reicht aber nicht. Die Planungskultur muss sich tatsächlich wandeln. Ein greifendes Nachhaltigkeitsgebot für die Architektur wäre ein erster Schritt. Das heißt, der gesamte Lebenszyklus der Architektur muss gedacht, geplant und praktiziert werden. Architekten und Planer sollten Nachnutzungen für Gebäude nach überkommener erster Nutzung strukturell in ihre Vorschläge miteinbeziehen. Eine zweite, wichtige aber sanfte Änderung betrifft die Psychologie der Planer. Architektur war in allen Epochen fähig, gesellschaftliche Änderung, sogar Revolution, voranzutreiben und zu begleiten. Mit dem gängigen Verständnis der Baukultur gaukeln wir uns jedoch selbst vor, dass wir für die Herausforderungen der Gegenwart nicht unbedingt neue Konzepte brauchen. Das ist ein Fehler. Die wichtigste Voraussetzung für neue architektonische Ideen ist, dass man sich traut, sich außerhalb der bekannten Pfade zu bewegen.